1.2 Entdeckung & Erforschung von BVD/MD


Erstmaliges Auftreten von BVD-Formen


Nordamerika
Nordamerika

 

1 “X Disease” 1946 (Saskatchewan, Kanada); 2 Virusdiarrhoe 1946 (New York, USA); 3 Mucosal Disease 1953 (Iowa, USA); 4 Severe Acute BVD 1993 (Ontario, Kanada)

Die Anfänge - ab 1946

Der Krankheitskomplex BVD/MD blickt auf eine (verglichen mit einigen anderen viralen Erkrankungen) recht kurze, aber bewegte Geschichte zurück. Im Jahre 1946 beschrieben zwei Autoren die Krankheit ein erstes Mal. Der eine, Childs, bezog sich dabei auf den Ausbruch einer Rinderkrankheit in Saskatchewan, Kanada, welche durch intermittierendes Auftreten mit niedriger Morbidität, aber hoher Letalität von sich reden machte. Betroffene Rinder zeigten wässrig-blutigen Durchfall, Schleimhaut-erosionen, Fieber u.a. (aus heutiger Sicht) BVD/MD-typische Symptome [01].

Einen ähnlichen Ausbruch im US Bundesstaat New York beschrieben im gleichen Jahr Peter Olafson et al. von der Cornell University. Olafson erkannte zusätzlich eine respiratorische Komponente, Leukopenie, Rückgang der Milchleistung und eine erhöhte Abortrate. Olafson vermutete eine virale Aetiologie, weil eine Reproduktion der Krankheit zwar gelang, jedoch keine Bakterien isoliert werden konnten, und prägte den Namen Virusdiarrhoe [02]. Er grenzte diese von der „X Disease“ ab, welche sich v.a durch Hyperkeratose auszeichnete und durch Indigestion toxischer Substanzen (Naphtalene) hervorgerufen wurde. 

 

Die 50er Jahre

In den 50 Jahren hatte im US Bundesstaat Iowa eine Sonderform der Virusdiarrhoe, man nannte sie Mucosal Disease, ihren ersten Auftritt. Die Hauptsymptome der neuen Krankheit waren Hämorrhagien und Erosionen im Magen-Darm Trakt [03]. Im Gegensatz zur Virusdiarrhoe konnte MD aber nicht experimentell ausgelöst werden. Man ging daher davon aus, dass es sich um zwei verschiedene Krankheiten handelte.
1957 gelang die Isolationen eines cytopathogenen (cp) Virus aus einem MD-Fall [04], eine experimentelle Reproduktion der Krankheit gelang aber immer noch nicht. Im selben Jahr konnten Forscher der Cornell University ein nicht-cytopathogenes (ncp) Virus aus einem VD-Fall isolieren [05]. Der Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen war zu dieser Zeit nicht bekannt.

 

Die 60er Jahre & 70er Jahre

1960 konnten Forscher der Cornell University aus einem VD-Fall ein cp Virus (es wurde Oregon C24V genannt) isolieren [06], das nach künstlicher Übertragung typische Symptome der Virusdiarrhoe auslöste und zur Bildung von Antikörpern führte, welche sowohl cp als auch ncp VD-Viren neutralisieren konnten. Physikalische und antigenetische Untersuchungen zeigten, dass zwischen VD-Viren und MD-Viren große Ähnlichkeiten bestanden; diese beiden wiederum waren dem klassischen Schweinepest (damals hog cholera) Virus nahe verwandt.

1961 war Oregon C24V soweit modifiziert (es verursachte Serokonversion ohne klinische Symptome), dass es als erster Impfstoff gegen VD eingesetzt wurde [07]; dabei kam es zu zahlreichen ungewollten Nebenwirkungen (Auslösung von MD, Fruchtbarkeitsstörungen, Geburtsschäden).

Die ähnliche Symptomatik der beiden Krankheiten BVD/MD sowie die erstaunliche Kreuzreaktivität der Antikörper gegen beide Erreger führte dazu, dass die beiden Krankheiten als Komplex gehandelt wurden, obwohl die Epidemiologie der beiden doch recht verschieden zu sein schien (VD trat sporadisch mit hoher Morbidität, aber geringer Letalität auf, MD dagegen befiel v.a. junge Tiere mit geringer Morbidität aber hoher Letalität; außerdem war VD reproduzierbar, MD dagegen nicht). Ende der 60er Jahre bürgerte sich die Bezeichnung BVD-MD ein.

Die weitere Forschungstätigkeit während der 60er und 70er Jahre konzentrierte sich v.a. auf experimentelle Infektionen, insbesondere während der Trächtigkeit und bei Neugeborenen. Es wurde klar, dass BVD-MD Aborte, Geburtsschäden und lebensschwache Kälber hervorbringen konnte. Die "chronische MD" war auf eine intrauterine Infektion mit ncp BVD-MD-Virus zurückzuführen, betroffene Kälber waren persistent infiziert und wiesen eine erstaunliche immunologische Eigenschaft auf: sie bildeten keine Antikörper gegen das BVD-MD Virus [08].

 

Die 80er & 90er Jahre

1984 gelang erstmals die experimentelle Reproduktion von MD durch Inokulation eines cp Virus, welches antigenetisch dem im PI-Tier vorhandenen ncp Virus entsprach [09]. Es zeigte sich, dass die Kombination von cp und ncp Virus wesentlich schwerere Symptome zu erzeugen vermag, als einer der beiden Stämme allein. Gegen Ende der 80er Jahre wurde das BVD-MD Virus als Pestivirus identifiziert und zusammen mit dem Klassischen Schweinepestvirus und dem Border Disease Virus zuerst den Togaviren, 1991 dann den Flaviviren zugeordnet.
Bis zum Auftreten der ersten Fälle von BVD Hemorrhagic Syndrome Ende der 80er Jahre herrschte die Meinung vor, dass der nicht cytopathogene Stamm von BVDV nicht in der Lage sei, schwerwiegende Erkrankungen auszulösen. BVD Hemorrhagic Syndrome geht einher mit Fieber und Thrombozytopenie (diese führte zu blutiger Diarrhoe, Epistaxis, petechialen und ecchymotischen Blutungen auf Schleimhäuten). Die Grenzen zwischen BVD und MD konnten plötzlich nicht mehr so klar gezogen werden. Seither wurde die Charakterisierung des BVDV auf immunologischer, molekularer und genetischer Ebene energisch vorangetrieben. So wurde zum Beispiel im Zuge der Untersuchung des "BVD Hemorrhagic Syndrome" und des "severe acute BVD" (1993 in Kanada erstmals registriert: respiratorische Erkrankung, Diarrhoe, orale Läsionen, Aborte) [12] der BVD Type II (Genotyp) entdeckt [13]. Bis zum heutigen Tag ist aber der pathogenetische Mechanismus von BVD/MD nicht vollständig bekannt.

 

 Meilensteine der BVD-Forschung

 Jahr Ereignis
 1946
 Childs beschreibt X Disease [01]
 Olafson beschreibt Virusdiarrhoe beim Rind [02]
 1953
 Ramsey/Chivers beschreiben Mucosal Disease [03]
 1957
 Isolationen eines cytopathogenen Virus aus einem MD-Patienten [04]
 Isolation eines nicht-cytopathogenen Virus aus einem VD-Patienten [05]
 1960
 Isolation eines cp Virus aus einem VD-Patienten [06]
 1961
 Erstmals wird ein Impfstoff gegen BVD eingesetzt (Oregon C24V, Lebendimpfstoff) [07]
 1973
 Entdeckung der Immuntoleranz bei persistent infizierten Tieren [08]
 1984
 Künstliche Reproduktion von MD gelingt [09]
 1988 Aufklärung der Genomsequenz von BVDV [10]
 1991
 Das Genus der Pestiviren wird der Familie Flaviviridae zugeordnet [11]
 1993
Erstmaliges Auftreten von “severe acute BVD” [12]
 1994
 Identifikation des Genotyp II [13]