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3.9 BVD-Bekämpfung Schweiz PDF Drucken E-Mail

Die Ausgangslage

Das Virus der Bovinen Virus Diarrhoe ist in der Schweiz seit langem verbreitet. In der nationalen Tierseuchengesetzgebung wird die Mucosal Disease seit 2001 als zu überwachende Seuche aufgelistet. Jeder diagnostizierte Fall untersteht somit der Meldepflicht. Umfassende Daten zur BVD konnten in einer Studie gewonnen werden, die Ende der neunziger Jahre am Institut für Veterinär-Virologie der Universität Bern durchgeführt wurde. Darin wurde anhand einer repräsentativen Population gezeigt, dass die Antikörperprävalenz in Milchviehbeständen bei 57.7% (+/- 4.5% [C.I. 0.95]) und die Antigen-Prävalenz (PI- Tiere) bei 0.64% (+/- 0.34% [C.I. 0.95]) liegt (Figur 1). Wenn man nur das Alterssegment der Kühe betrachtet ( >25 Monate), so liegt die Antikörper-Prävalenz sogar bei über 70%. Im Durchschnitt weist jeder achte Milchviehbestand ein oder mehrere PI-Tiere auf. Wie bereits in anderen Ländern beobachtet, gibt es auch in der Schweiz einen Zusammenhang zwischen der Antikörper-Prävalenz und der Präsenz von PI-Tieren. PI-Tiere wurden vorwiegend in Herden mit einer Antikörper-Prävalenz von >60% identifiziert. Dies betrifft jedoch immer noch einen großen Anteil der Herden, die im Rahmen der schweizerischen Studie untersucht wurden. Diese relativ hohe Antikörper-Prävalenz spielt für die Auswahl eines Bekämpfungskonzeptes eine wichtige Rolle.

 
Antikörper-Prävalenz
 
 

Risikofaktoren

Neben den allgemeinen Infektionsquellen konnten für die Schweiz spezifische Risikofaktoren identifiziert werden, die für die weite Verbreitung der BVD eine wichtige Rolle spielen. Vor allem die Infektion von frühträchtigen Rindern auf der durchmischten Sommerweide (Alpung) fällt ins Gewicht. Durch den mangelnden Schutz der Jungtiere im Alter von ca. 15-24 Monaten (Antikörper-Prävalenz ca. 40%) und das Zusammenbringen von Tieren aus verschiedenen Betrieben kommt es dort zu einer signifikanten Generierung von PI-Tieren. Diese wiederum generieren nach ihrer Geburt im darauffolgenden Jahr im eigenen Betrieb selbst weitere PI-Tiere. Auch der Zukauf von Mastkälbern in einen Zuchtbestand stellt in der Schweiz einen Risikofaktor dar. Untersuchungen haben gezeigt, dass es unter den Mastkälbern überdurchschnittlich viele PI-Tiere gibt. Frühzeitige Abgänge von einzelnen Jungtieren werden oft labor-diagnostisch nicht abgeklärt, sodass die Diagnose BVD/MD nicht in jedem Fall abgesichert wird. Oft ist es dem Züchter gar nicht bewusst, dass Verluste oder vorübergehende Fruchtbarkeitsprobleme in seinem Bestand durch die BVD verursacht werden.

 
Risikofaktoren
 
 

Finanzielles

Im Rahmen einer weiteren Studie wurde ein Modell zur Abschätzung der durch BVD verursachten wirtschaftlichen Schäden in der Schweiz entwickelt. Die Berechnungen basieren auf den verfügbaren Daten zur epidemiologischen und wirtschaftlichen Situation (Prävalenz, Inzidenz, Herden- und Managementfaktoren, Marktpreise etc). Die durch BVD bedingten Schäden in der Schweiz belaufen sich demnach auf ca. 9 Millionen sFr pro Gesamt-Rindviehpopulation und Jahr (ca 1,6 Mio Tiere). Dieser Betrag basiert auf Daten, die 1995-1997 ermittelt wurden und dürfte einen eher konservativen Schätzwert für die heutige Situation darstellen. Er beinhaltet ausschließlich die direkten Schäden für den Tierhalter (Wertverminderung von Zuchttieren, frühzeitige Abgänge durch Minderleistung, der Tod von Tieren an der Mucosal Disease, Fruchtbarkeitsprobleme im Bestand). Die Berechnungen sind im Vergleich zu ähnlichen Studien im Ausland eher niedrig angesetzt. Indirekte Kosten - wie etwa der Einsatz von Antibiotika in der Kälbermast - sind nicht eingerechnet und dürften diese Zahl erheblich ansteigen lassen.

Eine landesweite BVD-Bekämpfung in der Schweiz dürfte sich selbst bei konservativer Schadensberechnung bereits nach ca. 5 Jahren finanziell auszahlen. Die zugrundeliegende Rechnung berücksichtigt dabei die Bekämpfungskosten, welche durch tierärztliche Leistungen (Besuch, Blutentnahme), Diagnostik (Virusnachweis mittels PCR, Antikörpernachweis in Mischmilch) sowie Entschädigungen für die Ausmerzung von PI Tieren entstehen. Innerhalb von 10 Jahren entstünden kumulative Bekämpfungskosten von ca. 55 Mio SFR.

 
Bekämpfungskosten
 
Ausrottungskosten & Schäden
 
 

Bekämpfungsansatz

Bekämpfungsstrategien, die auf dem Prinzip der Identifizierung und Eliminierung von PI- Tieren basieren, werden in etlichen europäischen Ländern angewandt. Die meisten dieser Verfahren sind Varianten der Bekämpfung, wie sie ursprünglich in den skandinavischen Ländern durchgeführt wurden. Um die Gesamtkosten tief zu halten, werden initial mittels einem Antikörper-Nachweis in Mischmilch mit einem ELISA-Verfahren die Betriebe in "BVD-frei", resp. "BVD-verdächtig" eingestuft. Das anschließende mehrstufige Verfahren zur Identifizierung der PI-Tiere begrenzt sich auf die BVD-verdächtigen Betriebe. In der Schweiz wäre dieses Verfahren von der Technik her sicherlich auch erfolgsversprechend. Aus finanziellen Überlegungen sehen wir jedoch einige Probleme. Die Gründe dafür sind folgende:

 
  • Die starke Verbreitung von BVD in der Schweiz hat dazu geführt, dass ein Großteil der Herden mehr als 70% seropositive Kühe aufweist und sich demzufolge initial nicht anhand eines Mischmilchtests als BVD-frei einstufen lässt. Weitergehende Untersuchungen auf Einzeltierbasis mit den heute gängigen Diagnostikverfahren (Ag-capture-, AK-ELISA, Virusisolation) verteuern zwangsläufig jedes Bekämpfungsvorhaben.
  • Die für die Identifizierung von PI-Tieren verwendeten Tests erfassen die Kälber in den ersten Lebensmonaten teilweise nur ungenügend. Das verbleibende Restrisiko bedingt deshalb Handels-, Tierverkehrs- und Weideeinschränkungen. Gerade in der Schweiz stoßen diese Beschränkungen wegen der gemeinsamen Sömmerung (Alpung) von Jungtieren (Gemeinschaftsweiden in höheren Gebirgsregionen) auf Widerstand.
  • Die Diagnostik-Kosten in der CH sind im internationalen Vergleich relativ hoch.
 

RT-TaqMan-PCR

Bedingt durch die hohe Antikörper-Prävalenz kann durch das initiale Screening mittels eines Antikörper-Nachweises in der Mischmilch lediglich ein geringer Anteil von Herden als "BVD-frei" eingestuft werden. Eine rationelle Identifikation von PI-Tieren ohne vorangehendes Screening würde in der schweizerischen Situation klare Vorteile bringen. Eine mögliche Lösung bietet die Verwendung eines automatisierten PCR-Verfahrens, das am Institut für Veterinär-Virologie der Universität Bern entwickelt wurde. Es stützt sich auf eine TaqMan-RT-PCR Diagnostik in Mischmilch- und gepoolten Serumproben. Dadurch können ganze Herden mit wenigen PCR-Ansätzen innert Tagen als (vorläufig) BVD-frei (frei von PI-Tieren) eingestuft werden. Auch Jungtiere in den ersten Lebensmonaten werden erfasst. Nur in durchschnittlich jedem achten Betrieb befindet sich ein oder mehrere PI-Tiere. Diese Tiere können in weiteren PCR-Schritten mit oder ohne Poolen eindeutig identifiziert und eliminiert werden. Handels- und Weidebeschränkungen werden dadurch erheblich reduziert. Die anschließende Überwachung der BVD-freien Bestände kann durch das Heranwachsen einer BVD-freien Population sukzessive wieder auf den herkömmlichen, kostengünstigen Nachweis von Antikörpern in der Mischmilch umsteigen.


Vakzinen

Experimentell wurde auch der Einsatz einer attenuierten Lebendvakzine geprüft, die oral appliziert werden kann. In einer Simulation konnte für die BVD-Virusinfektion gezeigt werden, dass unter den schweizerischen Verhältnissen eine Erhöhung des Anteils immuner Tiere in der Rindviehpopulation auf >93% mittelfristig (nach 4-6 Jahren) zum Aussterben der Infektion führt. Bei der oralen Vakzine werden alle unträchtigen Jungtiere in einem jährlichen Rhythmus einmalig geimpft. Dieses Vorgehen stellt - vereinfacht ausgedrückt - eine Simulation der natürlichen Infektion dar. Der Vorteil gegenüber den heute kommerziell erhältlichen Vakzinen liegt im jahrelang anhaltenden Impfschutz. Die Impfung der unträchtigen Tiere erfolgt in der Regel getrennt vom Restbestand (z.B. auf einer Frühjahrsweide). Obwohl dieses Verfahren eine vielversprechende Alternative darstellt vor allem bezüglich der Restriktionen im Tierverkehr müsste dessen Praktikabilität und Sicherheit zuerst anhand einer erweiterten Pilotstudie aufgezeigt werden.


Zusammenfassung

Das Virus der Bovinen Virus Diarrhoe (BVDV) ist in der Schweiz stark verbreitet. In einer epidemiologischen Studie wurde in Milchviehbeständen eine Prävalenz an Antikörper-positiven Tieren von 57.7% und eine Prävalenz an persistent infizierten Tieren von 0.64% festgestellt. Die Infektion von frühträchtigen Rindern auf der durchmischten Sommerweide (Alpung) spielt für die Verbreitung der BVD in der Schweiz eine wichtige Rolle. Wahrscheinlich befindet sich die BVD zur Zeit in einem natürlichen Gleichgewicht - lediglich ein sehr geringer Anteil der Tiere wird geimpft. Der Gesamtbetrag der direkten wirtschaftlichen Schäden, die durch die BVD verursacht werden, wird auf ca. 9 Millionen sFr für den schweizerischen Rindviehbestand (Population ca. 1.6 Mio Tiere) geschätzt. Die epidemiologische Situation (relativ hohe Antikörper-Prävalenz) hat Konsequenzen für die Bekämpfung. Ein Programm, das auf dem initialen Screening der Bestände mittels dem Antikörper-Nachweis (ELISA) in Mischmilch aufbaut, erweist sich von den Kosten her als problematisch für die Schweiz. Angepasster erscheint eine direkte Identifizierung von persistent infizierten Tieren. Diese stützt sich auf eine TaqMan-RT-PCR Diagnostik in Mischmilch- und gepoolten Serumproben. Als Alternative dazu wurde ein Konzept ausgearbeitet, das den Einsatz einer oralen attenuierten Lebendvakzine im Jungtiersegment vorsieht. Die beiden Verfahren schließen sich gegenseitig nicht vollkommen aus. Kosten-Nutzen Analysen belegen, dass sich ein landesweites BVD-Bekämpfungsprogramm für die Schweiz nach 4-6 Jahren wirtschaftlich auszahlt. Der Entscheidungsprozess zum weiteren Vorgehen wird momentan geführt.